Kapitel
Trabzon

Abzug!

Ein letzter Besuch

Flughafen Köln/Bonn, Dienstag 9 Uhr: Der Learjet nach Trabzon ist startklar.

Die Bundeswehr – das klingt noch immer nach knallharter Disziplin, nach wortkargen, dafür umso klarer formulierten Anweisungen, nach wenig Luxus und viel harter Arbeit.

Dienstagmorgen, Flughafen Köln/Bonn, militärischer Bereich. Ein freundlicher Soldat nimmt das Gepäck an und geleitet in den Wartebereich. Tiefe Sessel, frischer Kaffee und freundliche Menschen in den mit Strenge assoziierten Uniformen. Leutnant, Oberst und zu guter Letzt der Vizeadmiral der Streitkräftebasis, Manfred Nielson. Er stellt die Delegation, die der General-Anzeiger an diesem Dienstagmorgen begleitet. Nun lässt man einen Vizeadmiral nicht mit einer alten Transall-Maschine reisen, das würde einfach zu lange dauern. Die 13-köpfige Gruppe nimmt im selben Learjet der Bundesrepublik platz, den auch die Kanzlerin für Kurzstreckenflüge nutzt.

Manch Mitreisender wird anschließend vom komfortabelsten Flug seines Lebens sprechen – die meisten sind Soldaten, sie sind Bundeswehr-Holzklasse gewöhnt. Ein letztes Mal geht es nach Trabzon, Nordtürkei, rund drei Flugstunden entfernt an der Küste des schwarzen Meeres.

Nielson soll dort eine historische Mission beenden. Seit dem Jahreswechsel darf die Bundeswehr in Afghanistan nicht mehr kämpfen, das Mandat für die von der Nato geführte Isaf-Mission endete nach 13 Jahren. Die Truppen sind bereits zu Hause, jetzt soll auch das letzte Material – Panzer, Jeeps, Zelte und Stromgeneratoren – nach Deutschland gebracht werden. Der Rücktransport läuft über Trabzon und morgen sollen die letzten Güter verstaut und anschließend der Umschlagpunkt, den die Deutschen vor zwei Jahren im Hafen der Küstenstadt eröffneten, aufgelöst werden.

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Logistisches Neuland

Neuland war das alles. So etwas hatte es noch nicht gegeben.

Die Bundeswehr geht 2015 in das 60. Jahr ihres Bestehens, im Sommer soll groß gefeiert werden. Zu Beginn des Jubiläumsjahres übt die Truppe schon einmal und klopft sich kräftig auf die Schulter: Ein Leuchtturmprojekt. Vorbildlich und beeindruckend. Etwas, worauf die Truppe stolz sein dürfe.

Der Krieg in Afghanistan ist zu Ende, ob er wirklich gewonnen wurde, wird die Zeit zeigen. Die Schlacht danach, die wurde gewonnen. Daran lässt die Bundeswehr keinen Zweifel.

Trabzon, Mitte Januar. Die Lagerhallen im Hafen sind leer, die Bürocontainer ausgeräumt, die Säcke gepackt. Eine merkwürdige Stimmung liegt in der Luft. Gelöst und wehmütig zugleich. „Das war eine tolle Zeit und auf genau dieses Ergebnis haben wir hingearbeitet. Jetzt geht es in Deutschland zurück an den Schreibtisch.“ Oberst Stefan Hüller war mehr als sechs Monate in Trabzon und leitete den Rücktransport des Bundeswehr-Materials aus Afghanistan zwischen September 2013 und Januar 2014 und dann noch einmal seit Ende Oktober. Jetzt verladen seine Leute die letzten Container und Panzerwagen auf das gewaltige Frachtschiff, das in insgesamt fünf Touren alles Kriegsmaterial nach Hause bringt.

Wer Krieg führt, der will dies nicht ewig tun. Krieg nutzt sich ab, Krieg macht nicht glücklich. Und auch wenn in Deutschland das Wörtchen erst im Jahr 2010, nach acht Jahren Einsatz, erstmals im Zusammenhang mit Afghanistan benutzt wurde, so war es den dort stationierten Soldaten längst klar: Wir sind im Krieg, und ob dieser in den Tälern und Bergen am Hindukusch je gewonnen werden kann, ist mehr als fraglich. 55 deutsche Soldaten kehrten nie mehr nach Hause. Auch deshalb musste irgendwann Schluss sein. Mit dem Jahreswechsel wurde die Isaf-Mission beendet, eine 13. Mandatsverlängerung gab es nicht. Die Truppen und mit ihnen knapp 30.000 Tonnen Material sollten zurückkommen.

Ein logistisches Großprojekt. Einen Abzug dieser Dimension – das gab es noch nie.

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Die größte Herausforderung seit...

„Hier haben wir die größte logistische Herausforderung in unserer Geschichte gemeistert.“ Wie ein Mantra bekommt der Besucher das in Trabzon zu hören. Auch von einem Sprecher der Bundeswehr, der den Ort dieser historischen Leistung präsentiert. Hier, das ist die „blaue Platte“, ein Betonplatz so groß wie mehrere Fußballfelder. Hier wird der Krieg auch für Zivilisten noch einmal spürbar. Der Wüstensand klebt an den Fahrzeugen. Kratzer von Taliban-Attacken zieren Dingos und Eagles. Fahrzeuge, mit denen die Bundeswehr-Soldaten jahrelang durch die entlegenen Regionen Nord-Afghanistans patrouillierten. Generalmajor Dieter Warnecke blickt auf den Schiffsbauch, in dem gerade einer der ockerfarbenen „Wölfe“ verschwindet. Oft war er in Afghanistan, zuletzt 2013 als Vize-Kommandeur der Isaf-Streitkräfte. „Diese Fahrzeuge haben uns geschützt und Leben gerettet. Sie jetzt auf dem Heimweg zu sehen, das ist schon emotional.“

Transportwege von Afghanistan nach Deutschland:

Dieser Heimweg hat mehrere Etappen. Zunächst mit dem Flugzeug aus dem Lager in Masar-e-Scharif ins 2400 Kilometer entfernte Trabzon. Von dort geht es mit dem Schiff nach Deutschland, in den Nordseehafen von Emden und dann weiter in die Werkstätten der Bundeswehr. Rund 1.000 Fahrzeuge werden diesen Rückweg am Ende genommen haben, bis zum Jahreswechsel 2016 sollen sie alle grundüberholt und wieder einsetzbar sein.

Die gebeutelte Truppe wird sie gut gebrauchen können, zumal etwa 600 Wölfe und andere Fahrzeuge ihren letzten Dienst in Afghanistan taten. „Wir mussten selektieren: War der Restwert geringer als die Transportkosten, wurde das Material zurückgelassen. Viele Fahrzeuge waren jahrelang dem afghanischen Sand und den Gefechten mit den Taliban ausgesetzt. Diese Fahrzeuge wurden vor Ort verschrottet und das Restmaterial verwertet“, erklärt Vizeadmiral Manfred Nielson. Drei Millionen Euro konnte die Bundeswehr durch den Verkauf von Kühlschränken aber auch Paletten oder Autoreifen einnehmen. Die Kosten für den Abzug deckt das freilich nicht. Über 100 Millionen Euro kostet die Rückführung.

Rauch über der Stadt: Die Luft in Trabzon ist kohlegeschwängert, oberhalb des Hafens wird mit Braunkohle geheizt.

Die Luft in Trabzon ist kohlegeschwängert. So muss das Ruhrgebiet in den 50er Jahren geschmeckt haben. In der Nordtürkei wird auch 2015 noch mit Kohleöfen geheizt. Im Winter ist es kalt, die Berge im Hintergrund sind schneebedeckt. Dennoch hört man von den deutschen Offiziellen keine Klagen. Klar, das hier ist die Bundeswehr, Soldaten müssen so etwas abkönnen. Vor allem aber sind der Vizeadmiral und sein Stab beschäftigt damit, stolz und zufrieden zu sein. Trabzon war von Anfang an die erste Wahl für den Rücktransport. Der Luftweg aus Afghanistan ist verhältnismäßig kurz und günstig, die „blaue Platte“ nur fünf Autominuten vom Flughafen entfernt und die Türkei ein Nato-Partner. Perfekt also.

Dennoch gab es anfangs Zwist. Die Verhandlungen zogen sich, eine deutsche Flagge durfte bis zuletzt nicht über der Platte hängen und außerhalb von Hotel und Hafen war den Soldaten die Uniform verboten. So wollten es die türkischen Verhandlungspartner. Am Ende aber, wie gesagt, prägt Zufriedenheit das Bild: „Das waren Problemchen, die in Deutschland größer gemacht wurden, als sie eigentlich waren“, resümiert Nielson. Während der Oberst Hüller geradezu ins Schwärmen gerät: Über die Gastfreundschaft, das gute Essen oder die Unterkunft in einem nahe gelegenen Hotel, das für zwei Jahre exklusiv die 120 Soldaten beherbergte, die in Trabzon die Platte putzten.

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Alles nach Plan

Materialzahlen

45.681 verschiedene Artikel

14.338 Tonnen Gesamtmenge

1008 Fahrzeuge (davon 177 Kampf- und Bergungspanzer)

800 Soldaten verteilt auf zwei Jahre

480 Container

191 Flüge zwischen Mazar-e-Sharif und Trabzon

5 Schiffstransporte von Trabzon nach Emden

In zwei Jahren kamen insgesamt rund 800 Soldaten in die Türkei. Ob Panzer putzen und Kisten packen nicht langweilig sei? „Überhaupt nicht. Ich bin wirklich dankbar, hier gewesen zu sein“, sagt ein junger Mann aus dem Logistikbataillon, der erstmals im Ausland anpackt. „Die Zeit war spannend, fast jeden Tag kam etwas Neues auf die Platte.“ In einer Phase, in der die Bundeswehr nicht im Hochwassereinsatz für Positivschlagzeilen sorgen kann, sind es die jungen Logistiker, die der Wehr zu etwas Ruhm verhelfen. Ansonsten, so klagt es aus der Truppe, werde man in der Heimat vor allem mit Pleiten, Pech und Pannen in Zusammenhang gebracht. Die nun beendete Afghanistan-Mission machte da kaum eine Ausnahme: Die lange Einsatzzeit, gefallene Soldaten und der Angriff auf einen Lastwagenkonvoi, bei dem bis zu 100 Zivilisten starben, sorgten immer wieder für Kritik und Debatten.

In Trabzon spielt das keine Rolle, hier funktionierte alles nach Plan. Beim Schlussappell stehen die Soldaten gerade, die türkische Delegation zeigt sich von den warmen Worten der Deutschen geschmeichelt und um kurz nach 15 Uhr legt das Frachtschiff zum letzten Mal ab, hupt dreimal laut und macht sich auf den Weg, die verbliebenen 3400 Tonnen Kriegsmaterial nach Deutschland zu bringen. Am Anfang Februar soll alles in Emden sein.

Am Abend wird in Trabzon gefeiert, während der Inspekteur und seine Delegation schon wieder im Flieger sitzen. „Das haben sich die Jungs und Mädels auch verdient“, sagt ein Oberst und blickt zufrieden aus dem Fenster.

Die Schlacht ist gewonnen. Das gab es noch nie.

Video: Rückzug über Trabzon - eine Reportage.
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So geht es in Afghanistan weiter

Das Mandat für den Isaf-Kampfeinsatz der Bundeswehr ist zum Jahreswechsel ausgelaufen – und wurde übergangslos durch ein neues Mandat abgelöst. Seit dem 1. Januar 2015 läuft die Mission „Resolute Support“ (Entschlossene Unterstützung). Aus ehemals bis zu 5300 Soldaten sind maximal 850 geworden. Statt in entlegensten Regionen in Kundus auf Patrouille zur gehen, kümmert sich die verbliebene Truppe im geschützten Lager um die Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte. Erst am 18. Dezember stimmte der Deutsche Bundestag dem neuen Mandat zu.

Durch diese Entscheidung bleibt auch das Camp Marmal, das Truppenlager der Bundeswehr in Mazar–e-Sharif, weiterhin bestehen – allerdings mit knapp 30.000 Tonnen Material weniger als noch zu Zeiten des Isaf-Einsatzes. Doch der Zeitraum, in dem das Camp in diesem Zustand noch besetzt bleibt, ist überschaubar – so zumindest der Plan. Die Ausbildungsmission ist zunächst auf zwei Jahre ausgelegt, für diesen Zeitraum gilt auch das Mandat des deutschen Bundestags. Im kommenden Jahr will sich die Nato, die die Mission mit insgesamt rund 12.500 Soldaten aus 40 Ländern durchführt, in den Großraum Kabul zurückziehen. Dann soll auch das Bundeswehrlager in Nord-Afghanistan geschlossen werden. Der Rücktransport würde, so die derzeitigen Planungen, komplett auf direktem Luftweg erfolgen.

Bundeswehr im Ausland

Trotz des massiven Truppenabzugs wird die Bundeswehr-Mission in Afghanistan auch 2015 der größte deutsche Militäreinsatz im Ausland bleiben. Die Verkleinerung der Truppe hat dazu geführt, dass mit nur noch rund 2700 (Stand Mitte Dezember) so wenige Soldaten im Auslandseinsatz sind wie seit mehr als 15 Jahren nicht mehr.

Den Höchststand hatte die Bundeswehr 2002 mit 10.400 Soldaten (der überwiegende Teil im Kosovo) erreicht. Die Zahl der Einsätze ist derzeit allerdings mit 15 hoch. In vielen Einsatzgebieten befindet sich nur eine einstellige Zahl von Soldaten. Der zuletzt kleinste Einsatz im Kongo wurde kurz vor Weihnachten beendet. Von dort kehrte der letzte verbliebene Soldat zurück.

Doch Endgültigkeiten zu verkünden, damit ist man in der Bundeswehr vorsichtig geworden. „Wer hätte vor 13 Jahren gedacht, dass wir 2015 immer noch in Afghanistan sind?“, fragte ein Soldat in Trabzon. Für den Isaf-Einsatz verlängerte der Bundestag sein Mandat zwölf Mal. Dazu soll es bei „Resolute Support“ nicht kommen, Manfred Nielson betont: „Das ist eine völlig andere Mission. Wir bleiben in Afghanistan, um die dortigen Sicherheitskräfte zu schulen und sie infrastrukturell zu unterstützen.“ Einen Großteil der Bundeswehr-Truppe stellen deshalb nicht die Teilstreitkräfte Heer, Marine oder Luftwaffe, sondern die Streitkräftebasis. Mehr als 300 Soldaten der Dienstleistungseinrichtung in der Bundeswehr sollen logistische und strukturelle Aufgaben übernehmen – beispielsweise die Schulung von Führungspersonal.

Seit 2013 sorgen afghanische Sicherheitskräfte bereits in Eigenregie für Sicherheit im Land. Im weitesten Sinne. Anschläge sind Bestandteil des täglichen Lebens. Dennoch sei das afghanische Militär auf einem guten Weg und habe, wie zuletzt bei den Präsidentschaftswahlen, bewiesen, „dass es auf eigenen Beinen stehen kann“, sagt der Abteilungsleiter Einsatz in der Streitkräftebasis, Generalmajor Dieter Warnecke.

Deshalb will sich die Nato mit der neuen Mission auf die Festigung dieser Fertigkeiten konzentrieren. Warnecke: „Das Militär hat neueste Waffen und kann diese auch bedienen – aber kaum jemand weiß, wie neue Uniformen bestellt werden oder wie moderne militärische Hierarchien aussehen.“

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Fotos:

Deutsche Presse-Agentur (DPA), Bundeswehr, Clemens Boisserée

Video:

Clemens Boisserée

Konzeption, Design und Programmierung:

Clemens Boisserée

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